Sonntag, 28. August 2011

Bambi töten für Anfänger

Vergangenen Freitag abend kurz nach 21 Uhr, also in der späten Dämmerung, war ich mit meinem Auto auf der Landstraße unterwegs. Plötzlich tauchte ein Reh auf der Straße auf, nahe der Straßenmitte, aber auf der Gegenfahrbahn. Ich habe mich noch an einer Vollbremsung versucht (hinter mir fuhr niemand) und ansonsten einfach geradeaus die Spur gehalten, ohne Ausweichmanöver. Also quasi alles so gemacht, wie man es in der Fahrschule lernt (das Abblenden habe ich allerdings vergessen...). Fast hätte das mit der Bremsung auch noch geklappt, aber das Reh sprang dann von der anderen Fahrbahnseite im letzten Moment dann doch direkt vor mein Auto. Etwa 5 Meter, vor ich komplett still stand. Diese 5 fehlenden Meter waren aber genug, um das Reh noch an den Hinterbeinen voll zu erwischen und voll auf die Straße zu schleudern, wo es erst einmal für eine Weile einfach liegen blieb.
Ich dachte sofort, dass es bestimmt tot ist, wenn es so still und reglos da liegt. Dann stand das Reh aber doch wieder auf, taumelte etwa 15 Meter weiter, wobei es die Hinterbeine kaum nutzen konnte, und setzte sich dann auf die Fahrbahn, etwa einen dreiviertel Meter vom Straßenrand entfernt. Meinen ersten Schock hatte ich überwunden und fuhr ebenfalls rechts an den Straßenrand, so dass das sitzende Reh etwa 3 Meter vor meinem Auto saß und vorerst nicht nochmal überfahren wird. Dann schaltete ich erst einmal den Warnblinker ein, suchte nach meinem Warndreieck und stellte dieses etwa 50 Meter entfernt von meinem Auto am Straßenrand auf.

Ich wusste nicht so recht was tun, und rief einfach den Notruf 110 an, in der Hoffnung, dass die mir sagen können, wie man in diesem Fall weiter vorgeht. Ich beschrieb die Lage und das noch lebende, aber bewegungsunfähige bzw. mindestens bewegungsunwillige Reh auf der Straße.

Die Notrufstelle war erst einmal sehr damit beschäftigt, herauszufinden in welchem Landkreis ich mich befinde (ich war etwa einen Kilometer von einer Kreisgrenze entfernt), um dann zu verkünden, dass ich mich in einem anderen Landkreis befinde als die erreichte Notrufzentrale, und dass man die Sache an die Kollegen aus dem passenden Landkreis weiterleiten werde, die sich dann in wenigen Minuten telefonisch bei mir melden werden.

Ich begutachtete solange kurz mein Auto und stellte fest, dass es zumindest in der Dunkelheit so aussah, als hätte ich keinen Schaden davongetragen. Nur ein Blutfleck, aber keine Dellen oder ähnliches. Immerhin das.

Ein Mann mit Motorrad hielt an (insgesamt hielten zwischen dem Unfall und meiner Weiterfahrt bestimmt fast 10 Leute an und erkundigten sich oder baten Hilfe an - ich werde nur die beiden relevantesten erwähnen). Er fragte mich, ob ich denn kein großes Messer oder einen schweren Gegenstand dabei habe, damit man das Tier sofort und schnell erlösen könne... ich verneinte. Der Mann hatte die Idee, man könne das Reh mit dem Radkreuz erschlagen. Ich widersprach, weil ich den Fall ja bereits gemeldet hatte und erst einmal die Hilfe der Polizei abwarten wollte und außerdem stark daran zweifelte, ob ich überhaupt berechtigt wäre, das Reh zu erschlagen - selbst wenn es offensichtlich sehr leidet (das tat es...). Der Mann grummelte irgendetwas eher unfreundliches vor sich hin, weil ich seine Hilfe ausschlug und das Tier seiner Meinung nach quälen würde, weil ich es nicht erlösen will. Was genau er sagte und wie genau er dann weiterfuhr kann ich nicht sagen, weil in eben demselben Moment mein Handy klingelte und die Polizei anrief. Die ließ sich dann erst einmal wieder den Ort so genau wie möglich beschreiben, fragte mich nach meinem Auto und ob das Reh noch auf der Straße sei. Ich beantwortete alles so gut wie möglich und sie meinten, dass sie eine Streife rausschicken werden.

Ich wartete etwa eine Viertelstunde. Eine Frau hielt an. Ich erzählte ihr die ganze Geschichte und redete ein wenig mit ihr, während ich am Straßenrand neben dem Reh stand und wartete. Sie holte ihr Warndreieck und stellte es direkt hinter das Reh, damit das Tier noch besser gegen eventuell zu schnell fahrende Autos gesichert ist und nicht noch einmal angefahren wird. Sie hatte viel Mitleid mit dem Tier.

Etwa 20 Minuten nachdem ich von der Polizei bescheid bekommen hatte, kam aus dem Wald ein größeres Fahrzeug hergefahren und hielt auf dem Feldweg direkt neben der Straße bei uns an. Der Mann stellte sich zuständiger Jäger vor, der von der Polizei geschickt worden war, anstelle einer Streife, da er wohl besser wüsste, wie mit der Situation und dem noch lebenden Tier umgehen. Er warf einen kurzen Blick auf das Reh, meinte nur "Ohje, das wird unschön" und ging zurück zu seinem Auto. Er kam mit einer Taschenlampe und einem Messer zurück und meinte, er müsse das Reh töten, da könne man nix mehr machen. Die Frau reagierte relativ panisch und verzweifelt und meinte nur, das könne sie nicht mit ansehen. Daraufhin wurde sie vom an sich sehr netten Jäger in ziemlich gereiztem Ton in ihr Auto geschickt.

Ich wurde gebeten, die Taschenlampe zu nehmen. Er nahm das Reh am Hals, zerrte es die Böschung hinunter in den Straßengraben, bat mich auf den Hinterkopf zu leuchten und mich an eine bestimmte Stelle zu stellen, damit ich vom eventuell ausschlagenden Tier nicht getroffen werde. Er nahm das Messer, schlitzte den Hinterkopf bzw. Nacken des Rehs mit einem schnellen Schnitt auf, schaute kurz in die geschaffene Öffnung hinein und stach dann mit seinem Messer an einer offensichtlich sehr gezielt ausgewählten Stelle dort hinten hinein. Das Reh zuckte gefühlte 20 Sekunden lang und lag dann endgültig tot im Straßengraben.

Es folgte der Formalismus. Der Jäger betrachtete mein Auto, sah auch nicht mehr als den Blutfleck. Notierte die Stelle des Blutflecks und füllte ein Formular für die Versicherung aus, falls sich bei Tageslicht doch noch zeigen sollte, dass da ein Schaden vorhanden ist. (Am Tag danach zeigte sich, dass tatsächlich kein Schaden da war).

Das tote Reh packte er in seinen Kofferraum ein. Ich packte währenddessen mein Warndreieck bei mir ein und bemerkte, dass die Frau ihr eigenes Warndreieck hatte stehen lassen, bevor sie weggefahren war. Ich und der Jäger waren beide etwas ratlos, was wir mit diesem Warndreieck tun sollten. Daten der Frau hatte keiner von uns. Wir entschieden uns dann dazu, dass es der Jäger mitnimmt, weil die Frau über die Polizei im Zweifelsfall wohl eher noch den Jäger ausfindig macht als mich. Für den Fall, dass die Frau jemals doch mich erreichen sollte, gab der Jäger mir noch seine Telefonnummer, damit ich die Frau an ihn verweisen könnte.

So, das war sie, die Geschichte von mir und dem armen Reh, welches zur falschen Zeit am falschen Ort war. Der Jäger und ich fuhren beide weiter. Seit dem Unfall waren insgesamt etwa 40 Minuten vergangen. Dafür, dass es schon am späteren Abend war, dass die Kreisstadt auch nicht direkt um die Ecke lag (es war ja direkt an einer Kreisgrenze) und für meine Unerfahrenheit mit Wildunfällen, kann man gegen diese doch recht schnelle Zeitspanne wohl nichts sagen. So schnell wiederhaben muss ich so etwas aber trotzdem nicht - denn es muss nicht immer so schadenfrei für mich selbst und mein Auto ausgehen. Und es ist auch kein schönes Erlebnis, zuzusehen, wie man zuerst ein Reh niederfährt und dieses deutlich getroffen wird - und vor allem auch nicht, wie das Reh später mit einem Messer getötet wird.

1 Kommentar:

Hans-Georg hat gesagt…

Ui, ein sehr unschönes Erlebnis, besonders der Akt, das Reh in die ewigen Jagdgründe zu befördern.

 

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